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23. Kalte Gänge und warme Felle

Foto von Viviana Camacho
Tropfsteinhöhle mit See

Olthek erwachte als letzter stöhnend und sich den Kopf haltend. „Ich glaube, der letzte Becher Met war nicht mehr gut.“, bemerkte er trocken und schlich sichtlich schlaftrunken hinter den Tresen, um sich vom Kräuteraufguss zu nehmen. Der erfrischte ihn sichtlich und der junge Zwerg begab sich zum Waschraum. Als wir alle drei einigermaßen auf den Beinen waren, nahmen wir gemeinsam ein reichhaltiges Frühstück ein, das Brot, Konfitüre und frischen heißen Kräutertrunk beinhaltete. Danach packten wir unsere Sachen zusammen und schulterten das Gepäck. Wegzehrung durfte natürlich nicht fehlen.

 

Wir verließen die helle große Halle mit ihren vielen Geheimnissen und lenkten unsere Schritte der langen, sich aufwärts windenden, Wendeltreppe entgegen. Der Aufstieg war so anstrengend, dass wir viermal einen kurzen Halt einlegen mussten, ehe wir den verborgenen Gang neben dem Dreifachgewölbe erreicht hatten. Wir betraten den Raum und folgten dem Rundgang rechtsherum, bis wir am Treppengang gegenüber des Tores anlangten. Nun ging es viele Stufen abwärts, den Weg der Ahnen hinunter zum Gewölbe mit dem Wegweiser. Die geheime Tür hatte sich wieder verschlossen, aber wir fanden einen Hebel aus Messing zum Öffnen, der in die Ziegelmauer eingelassen war. Nachdem wir den runden Raum betreten hatten, rasteten erst einmal. Foret und ich kannten den Weg ja bereits, der uns fast bis nach Takal Dûm zurückbringen würde.

 

Nach der Pause führte Foret die Gruppe an, Olthek folgte und ich bildete das Schlusslicht. Es dauerte nicht lange und wir kamen an den flachen See mit der Rampe, wo der nach der Aktivierung die Lorenfähre auftauchte. Wir bestiegen das rustikale Gefährt und überquerten so trockenen Fußes das unterirdische Gewässer.

Die Grotte wirkte diesmal nicht ganz so imposant wie bei meinem ersten Besuch. Es war gut möglich, dass die Sonne verdeckt war, denn das in Regenbogenfarben gebrochene Licht war nur sehr schwach zu erkennen. Olthek folgte dem Pfad dennoch sichtlich beeindruckt. Die Strecke bis zu der Höhle, die an die große Stadt grenzte, wurde recht zügig bewältigt. Der Wegweiser lag in Sichtweite vor uns und wir einigten uns, hier nochmals zu rasten, bevor wir uns nach Norden wenden würden. Die Eisenbinge würden wir auf jeden Fall wieder besuchen, wenn die Zeit dafür gekommen war, vertrösteten wir Olthek, der uns neugierig über die alte Stadt ausfragte.

 

Das stete Tropfen der Sintersteine begleitete unsere Schritte auf dem gepflasterten Boden, als wir uns nach Nordosten wandten, den Kallâ Atâr entgegen. Wir wagten uns zu dritt in unbekanntes Terrain vor. Die Neugier und die Vorfreude trieben uns an, was unser Tempo etwas beschleunigte. Der Tunnel unterschied sich etwas von allen, die wir bisher betreten hatten, bemerkte ich mit leisem Erstaunen. Decke und Wände bildeten einen perfekt runden Bogen, der einen eben gepflasterten Boden als Basis hatte. In regelmäßigen Abständen befanden sich Nischen in Schulterhöhe, in denen je ein hell violett leuchtender Kristall platziert war. Alle sieben Schritt war eine solche Einbuchtung zu finden, die immer wechselseitig in den Stein eingelassen war. Die Beleuchtung des Ganges war so ausreichend und dauerhaft möglich. Das Tunnelgewölbe kam mir vor wie poliert, so glatt fühlte es sich bei einer Berührung an. Der Weg bestand aus unregelmäßigen Bruchsteinen, die aber entweder gut abgelaufen oder gesägt waren, sodass deren Oberfläche sehr eben war. Der Tunnel war nicht geschmückt, sondern nur funktional, strahlte durch seine einzigartige Bauweise aber eine gewisse Erhabenheit aus. Langweilig wurde uns aber trotz der zweckmäßigen Architektur nicht, denn der Weg führte uns durch einige Höhlen hindurch, die ebenfalls von den violetten Kristallen erhellt wurden. Die natürlichen Kavernen hatten die Tunnelgräber weitgehend unberührt gelassen, nur der gepflasterte Pfad und die Lichter zeigten uns dort die Richtung an. Die Reise gestaltete sich so recht abwechslungsreich, was der Reisegeschwindigkeit zugute kam. Es dauerte also eine längere Zeit, ehe wir uns zu einer weiteren Rast niederließen.

 

Wir befanden uns in einer dieser Höhlen, durch die die bequeme Straße führte. Wasser plätscherte leise von Tropfsteinen in ein Rinnsal, das die Grotte durchlief. Das lila Licht spendete genügend Helligkeit für uns. Foret breitete seine Decke auf einer kleinen freien Fläche abseits des Pfades aus und wir nahmen Platz um zu ruhen. Der Koch kramte allerlei Verpflegung und Geschirr aus seinem Gepäck hervor und entzündete einen Hitzestein, den er zwei Schritte neben der Decke abstellte. Er kommentierte schließlich sein Tun: „Ich fand es wichtig, dass wir bei Kräften bleiben. Solange wir unterwegs sind, kann ich zumindest eine warme Abendmahlzeit für uns kochen, deshalb habe ich die nötigsten Kochutensilien aus dem Archiv mitgenommen. Wenn ich auch sonst nicht viel mit Magie am Hut habe, kann ich immer noch einen Hitzestein handhaben, wie jeder andere Zwerg auch.“ Er stellte eine Pfanne auf den heißen Stein, schnitt etwas Speck hinein und ließ das Fett heraus braten, bis er eine handvoll Pilze hineingab. Ich schnitt auf Forets Geheiß in der Zwischenzeit zwei Rüben in kleine Stücke, die er ein einen kleinen Topf gab, den er wiederum auf einen zweiten Hitzestein stellte. Olthek steuerte etwas Wasser zum Kochen bei. Nach einer Weile würzte der Koch die Speisen abschließend ausgiebig und bat Olthek und mich, die Teller bereitzuhalten. Das einfache warme Mahl war trotz seiner Einfachheit sehr köstlich und wir lobten Foret in den höchsten Tönen und dankten ihm ausgiebig. Wie gewöhnlich bestritten wir die Reinigung des Geschirrs gemeinsam, diesmal an dem kleinen Wasserlauf der Kaverne. Nachdem Foret alles wieder zusammengepackt hatte, genehmigten wir uns noch einen Schluck Holundermet, den Olthek aus der Halle des Vermächtnisses mitgenommen hatte, bevor wir uns gesättigt schlafen legten.

 

Olthek hatte die erste Wache, ich wieder die zweite. Ich sah, wie der Khazdith ein Stück Holz und ein Messer hervorholte, um zu schnitzen. Die gleichmäßigen Geräusche des Tropfens und des Schabens um mich herum ließen mich schnell einschlafen. Erst Oltheks energisches Rütteln an meiner Schulter machte mich wach. „Daril, ich habe etwas gehört. Es könnten Schritte sein, ob von Tier oder Zwerg oder Anderem vermag ich nicht festzustellen.“, flüsterte er mir zu, während Foret selig weiter schnarchte. Ich konzentrierte mich auf meine Umgebung und lauschte in das Zwielicht hinein, meine Hände stützte ich auf der Decke sitzend auf dem feuchten Steinboden ab, um dem Wasser zu folgen. Olthek wachte über mich, während ich meditierte.

„Nackte Füße waten durch das Wasser, um Spuren zu verwischen. Der Duft unseres Abendessens hatte sie aufmerksam gemacht. Klein, doch plump mit großen dunklen Augen kommen sie näher.“, flüsterte ich, was ich vor meinem inneren Auge sah. Ich Erwachte aus meinem tranceähnlichen Zustand und Olthek weckte Foret auf, der aus seinen träumen aufschreckte. „Fremde nähern sich. Macht euch bereit, kämpfen zu müssen, auch wenn wir das vermeiden wollen.“, informierte der junge Zwerg den Koch.

 

Wir zogen unsere Waffen, um uns verteidigen zu können, wenn es nötig wurde. Olthek drehte den Streithammer am Schaft in seinen Händen, Foret spannte die Sehne seiner Armbrust und legte einen Bolzen in die Führung ein. Ich löste die Streitaxt von meinem Ranzen und zog das Beil aus der Schlaufe. Nun war ich beidhändig bewaffnet und vorbereitet, was immer da kommen mochte. Wir verhielten uns weiterhin still und spitzten die Ohren. Leise Stimmen kamen näher und Schritte nackter Füße schmatzten über das feuchte Gestein. Das konnten unmöglich Zwerge sein. Sie sprachen mit zischenden Lauten, die ich nicht verstehen konnte.

 

Olthek wagte sich etwas näher an die Gestalten heran und ging hinter einer vom Boden aufragenden Tropfsteinformation in Deckung. Die Wesen kamen aus einem natürlichen Felsgang, der links unseres befestigten Weges in die Dunkelheit abzweigte. Nun konnten wir sie immer besser erkennen, da sie sich den Leuchtsteinen näherten. In Ihren Händen hielten alle fünf Gestalten eine Art Speer, ansonsten waren sie unbekleidet, aber ihre weißen, spitzen Zähne funkelten im spärlichen Licht. Ihre Haut wirkte leicht durchscheinend, dass man andeutungsweise die inneren Organe und Knochen erkennen konnte. Eindeutig Kreaturen, die niemals das Sonnenlicht erblickt hatten. Am ehesten konnte man sie mit Molchen vergleichen, die die Größe eines Zwerges erreicht hatten. Bei dem Anblick wurde mir recht mulmig zumute und ich umklammerte die Schäfte meiner Waffen fester.

Sie reckten ihre Nasen in die Höhe und schnüffelten, bevor sie weiter in unsere Richtung vorrückten. Was ich im Vorfeld als Augen interpretiert hatte, waren wohl keine, sondern Sinnesorgane, mit denen sie Veränderungen in der Luft wahrnahmen. Dort, wo die Augen hätten sein sollen, hatten sie nur von dünner Haut überwachsene Augenhöhlen ohne Funktion. Hätte ich in jenen Augenblicken nicht so viel Angst gehabt, wäre ich von diesen Geschöpfen sicherlich sehr fasziniert gewesen.

 

Langsam kamen sie noch näher an unseren Lagerplatz heran. Ihre Köpfe drehten sich unablässig nach links und rechts, wobei sie die Umgebung mit ihren Sinnen erkundeten. Der Geruch unseres Essens schien ihnen den Weg zu zeigen, wir hingegen konnten ihn gar nicht mehr wahrnehmen. Zielstrebig drangen sie vorwärts und blieben verwirrt stehen, als sie in meine Nähe kamen. Hatte ich vor Furcht zu schwitzen begonnen oder war ihnen ein anderer Geruch in die Nasen gedrungen? Ich verhielt mich so ruhig wie möglich und versuchte mich zu versteinern, aber das funktionierte nicht. Ich war wohl zu aufgewühlt und mir schlug das Herz wie wild bis zum Hals. Geräuschvoll atmete ich aus und die fünf amphibischen Wesen drehten sich mit ihren Speeren zu mir und zeigten zischend ihre spitzen Zähne. Sie hatten mich entdeckt und ich war selbst Schuld. Eines der Salamanderwesen drehte seinen Kopf in meine Richtung und sprach zu mir. Ich konnte slawische Wörter verstehen, die es mit zischelnder, kehliger Stimme hervorbrachte. „Mensch, Zwerg? Geh fort Fremder!“, forderte es aggressiv.  Ich riss mich zusammen und versuchte, so ruhig wie es mir möglich war, darauf zu reagieren. „Ich tu euch nichts. Euer Auftauchen hatte mir nur Angst gemacht.“, sprach ich langsam und ruhig zu ihnen auf tschechisch. Wieder zischten sie und klapperten mit ihren Zähnen und formten gutturale Geräusche mit ihren Mäulern, sie redeten miteinander in ihrer seltsamen Sprache.  „Geruch neu, mussten nachforschen. Du gehen, wir gehen. Du bleiben, wir töten.“, verstand ich sinngemäß. Woher dieses amphibische Wesen slawische Begriffe kannte, würde ich niemals in Erfahrung bringen, dachte ich mir. Ich antwortete wieder mit ruhigerer Stimme: „Ich gehe. Der Geruch war mein Essen.“ Die Kreatur schien zufriedengestellt und schickte ihre Begleiter dorthin zurück, wo sie hergekommen waren. Mein Gesprächspartner blieb zurück, wohl um sicherzugehen, dass wir wirklich weiterziehen würden. Ich befestigte meine Waffen wieder an meinem Tornister und schulterte ihn. Forets Decke hob ich auf und deutete meinen Kameraden, unserem ursprünglichen Weg zu folgen.

 

Nachdem wir ein gutes Stück weitergegangen waren, deutete ich ihnen, anzuhalten. „Diese blinden Riesensalamander waren schon furchterregend, nicht wahr? Der eine sprach zu mir mit einfachen Worten einer Menschensprache, die ich verstehe. Wären wir dort nicht verschwunden, hätten sie versucht, uns zu töten. Ich sagte ihm, dass ich gehe. Ob sie euch beide bemerkt haben, weiß ich nicht, denn Augen hatten sie keine, riechen und hören können sie aber wohl sehr gut.“, unterrichtete ich meine Mitreisenden. Ich gab Foret seine Decke zurück, damit er sie verstauen konnte. Ein Zurück gab es für uns vorerst nicht, falls jemand von uns noch Dinge am Rastplatz hinterlassen hatte. Nun mussten wir unseren Weg zu den Kalten Tunneln zu Ende bringen. Mir fröstelte mit einem Mal. Die Aufregung fiel von mir ab und mein Herz beruhigte sich endlich und in mir kroch die Kälte hoch, die die Luft der geschliffenen Tunnel mit sich trug. Auch Olthek und Foret bemerkten den Temperaturabfall und wir zogen uns wärmer an, ehe wir weitergingen. In Wolle und Pelz gehüllt setzten wir den Weg im violetten Schein der Leuchtsteine fort.

 

Obwohl wir nur wenig Schlaf hatten, kamen wir dennoch gut voran. Die Beschaffenheit der Tunnel veränderte sich nicht, jemand schien sie instand zu halten, denn alles hier war sauber und die Oberflächen zeigten weder Risse noch Abnutzungserscheinungen. Soweit uns die Füße trugen folgten wir dem einzig möglichen Pfad, ehe wir erneut eine Rast einlegten. Wir nahmen uns vor, nicht mehr in den Höhlen zu schlafen, um nicht wieder ungebetene Gäste anzulocken, sondern ruhten uns nur noch Nahe einer Lichtquelle im Tunnel aus. So verlief unsere Wanderung weitgehend ruhig, nur Olthek begann irgendwann über Schmerzen in den Füßen zu klagen, weshalb wir die Ruhezeiten verlängerten. Irgendwann stießen wir auf eine Wand, die den Tunnel plötzlich abschloss. Das konnte nur ein Tor sein. Vermutlich hatten wir die Kallâ Atâr erreicht.

 

 

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