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14. Mebel’aban

Foto von stein egil liland auf pexels.com
Berge und Meer

Da standen nun zwei Zwerge mitten im Nirgendwo, im Rücken eine Felswand, in die ein großer Kreis geritzt worden war. Runen waren schwer zu erkennen, denn in den Rillen hatte sich Moos festgesetzt und die Witterung zeigte ihre Spuren am Gestein.

Ich hatte Foret gerade noch davor bewahren können mit dem Gesicht voran im harschen Schnee zu landen, als wir weitergehen wollten. Diese Art zu reisen war auch für mich sehr gewöhnungsbedürftig, denn mir war ebenfalls etwas duselig im Kopf davon.

Einen festen Weg konnten wir beide nicht ausmachen, also stapften wir vorsichtig abwärts durch den Wald in Richtung des aufragenden Gebirges. Unsere Sinne würden uns schon leiten.

Die einzigen Spuren, die wir sahen, stammten von Tieren. Mir selbst war das auch lieber, als wieder Menschen zu begegnen. Foret und ich brauchten miteinander nicht sprechen, denn mittlerweile verstanden wir uns untereinander durch einfache Mimik und Gesten, eine Art Körpersprache unter Zwergen, die Außenstehenden nicht als ungewöhnlich auffallen würde. Die Wanderung durch die winterliche Landschaft verlief ohne Vorkommnisse. Im Tal angekommen, füllten wir unsere Wasserbehälter im kalten Bach auf, der leise vor sich hin plätscherte. Dann überquerten wir den Wasserlauf, um auf der anderen Seite weiter auf die Berge zuzugehen. Innerlich wurde ich unruhig, aber der Grund dafür war mir in jenem Moment nicht bewusst. Ich schaute mich vorsichtig um, damit mir nur keine Details der Umgebung entgehen konnten. Foret bemerkte wohl meine Nervosität und blickte ebenfalls aufmerksam in alle Richtungen. Um mich etwas zu beruhigen, zog ich meine Flöte aus der Gürteltasche und versuchte mich an einer kleinen Melodie. Es brauchte mehrere Anläufe, ehe ich den Dreh wieder raus hatte. Viel zu lange hatte ich sie nicht benutzt. Bald gelang es mir aber, die Töne sicher zu treffen und Foret stimmte summend ein. Nach einer Weile begann der Zwerg dazu mit tiefer Stimme zu singen. „Hâmazun, masalumôn …“ („Die Bierkrüge, lasst sie gefüllt sein …“), ein altes Trinklied aus zwergischen Tavernen. Weshalb mir gerade diese Melodie einfiel zu spielen, weiß ich bis heute nicht. Wir liefen weiter in wechselnder Richtung bergauf, damit uns der Anstieg nicht zu sehr zu schaffen machte. So benötigten wir zwar mehr Zeit, schonten aber unsere Kräfte. Einige Zeit ging es mit uns also musizierend voran. Wer sollte uns denn hier schon hören, außer wilden Tieren, die vor unserem Getöse nur Reißaus nehmen würden? Ein Grollen ließ uns dann aber doch innehalten. Hatten wir eine Lawine ausgelöst? Schweigend und wieder ganz auf die Umgebung konzentriert setzten wir den Weg fort. Steine polterten vereinzelt von den Felswänden herab, als hätte sich doch etwas in Bewegung gesetzt, das Grollen war aber verstummt. Foret und ich machten uns klein, drückten uns gegen die Felsen und gaben keinen Ton mehr von uns. Ich war bereit, zu versteinern, falls jemand oder etwas auf uns aufmerksam geworden war. Mir war, als bewegte sich ein Teil der Berge, mehr ein Gefühl, weniger eine konkrete Wahrnehmung.

Dann fuhr eine riesige steinerne Hand neben uns herab und verursachte ein Getöse, das die Felsen um uns herum erschütterte. Wir hatten wohl einen Bergtroll aufgeweckt, der nun in unsere Richtung schlug. Ich drehte mich ein wenig und erkannte das gigantische Geschöpf, an dessen linkem Bein wir in Deckung gegangen waren. Der Troll saß da und fuchtelte mit seinen Armen, als wolle er nach lästigen Fliegen schlagen, nur dass wir es waren, die ihn gestört hatten.

„Beruhige dich, Garg. Es ist nichts passiert.“, hörte ich hinter mir eine unbekannte Stimme in Zwergensprache rufen, die an den Bergtroll gerichtet war. Das Gesagte wurde mehrmals wiederholt und langsam hörte das Wüten des Bergtrolls auf.

Ein Zwerg, der beschwichtigend auf einen Bergtroll einredet? Ich entspannte mich wieder, fasste Mut und rief: „Verzeiht, wir haben den Riesen aufgeschreckt.“ Foret sah mich erschrocken an. Der Troll jammerte leise vor sich hin, als von seiner anderen Seite gerufen wurde: „Wer seid ihr? Ich kenne Eure Stimme nicht. Aber Ihr müsst ein Khazdûn sein, da wir die selbe Sprache sprechen.“ Ich konnte darauf nur wahrheitsgemäß antworten: „Ja, ich bin Daril, Sohn des Redin, aus Takal Dûm.“ Eine Antwort auf meine Vorstellung kam nicht, aber einen Moment später stand ein junger Zwerg vor mir und schaute mich mit prüfendem Blick an. „Und wer ist das dort?“, wollte er mit einem Fingerzeig auf Foret wissen, aber der konnte für sich selbst antworten: „Mein Name ist Foret, Sohn des Tumnil. Auch ich komme aus Takal Dûm.“ Der Jüngling machte große Augen. „Ihr beide kommt aus der großen Stadt der Vorväter? Das sind großartige Neuigkeiten. Ich bin Olthek. Folgt mir, ich bringe euch zu meiner Tante. Sie hat hier das Sagen.“

Der Bergtroll neben uns schien sich wieder beruhigt zu haben, denn man hörte ihn nur noch regelmäßig schnaufen. Er mochte wohl keine Musik.

„Ihr habt wohl Garg aufgeweckt. Er reagiert recht aufbrausend bei Dingen, die er nicht kennt. Meist schläft er aber und verdeckt dabei den Eingang zu unserem Heim im Hartfels.“, erklärte Olthek uns, während wir den nun schlafenden Bergtroll umrundeten.

Ein mit Runen verzierter Durchgang führte hinter dem Steinwesen in den Berg hinein.

"Tretet ein!“, forderte der Jüngling uns auf und wir schritten durch den Torbogen. Olthek berührte am Rand eine Stelle und der Berg verschloss sich wieder, das feurige Glimmen der Runen ließ nach und verschwand. Kaum hatten sich meine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse angepasst, kam ich kaum aus dem Staunen heraus. Der rötlich erhellte Gang führte mit leichtem Gefälle in den Berg hinein. Der Weg erschien mir wie ausgewaschen, von Wasser rund und glatt geschliffen, dabei führte er uns in vielen Kurven und Windungen immer tiefer nach unten, bis wir an einen weiteren Torbogen gelangten, den wieder feurig glühende Runen verzierten.

 

 ‘urs ra shálak ‘abanu ra akák biratakhsigín ablákhu mudtu

„Feuer und Wasser, Stein und Erz formen unser starkes Herz“

 

„Willkommen im Hartfels, werte Besucher.“, begrüßte Olthek uns mit erhobener Stimme offiziell, als wir das Tor durchschritten. Schnell scharten sich mehrere Zwerge um uns, um zu sehen, wen der Jüngling da wohl mitgebracht haben mag. Neugierig betrachteten sie uns mit ihren im rötlichen Licht glühenden Augen und ihren prächtigen Bärten. „Lasst uns die Gäste zur Herrin geleiten, Khazâd des Hartfels!“, rief Olthek den Leuten entgegen. Daraufhin bildeten sie eine Gasse, die uns bis an ein Gebäude brachte, wo eine breite Treppe zum Eingang in den Stein gehauen war. Wir gingen die Stufen hinauf und traten ein. An den beiden Seitenwänden brannten je drei Fackeln in gleichen Abständen, vor uns ragte ein Thron auf, der von einer stämmigen Zwergin eingenommen wurde.

„Willkommen Zwerge. Mein Name ist Callia, Tochter des Garbon, Herrin von Hartfels.“, begrüßte sie uns in der Sprache unseres Volkes. „Ihr müsst von weit her kommen, denn dies ist die einzige zwergische Siedlung weit und breit.“ Ich verbeugte mich leicht vor der Herrscherin und Foret tat es mir mit leichter Verzögerung nach. „Wir sind Daril, Sohn des Redin, und Foret, Sohn des Tumnil, aus Takal Dûm.“, stellte ich uns vor. Wir haben die Wege beschritten, die Eure Vorfahren einschlugen, als sie unsere gemeinsame Heimat verließen. Elfen halfen uns, die Aufgabe weniger beschwerlich zu bewältigen.“, erklärte ich ihr respektvoll und setzte fort: „Ich erzähle Euch gern ausführlich, was sich zugetragen hat.“ Callia nickte wohlwollend. Ich glaubte gar den Anflug eines Lächelns entdeckt zu haben.

„Setzt euch und speist mit mir. Dabei könnt ihr mir in Ruhe eure Geschichte kundtun.“, sagte sie und wies einen Diener mit einem Fingerzeig an, uns in den Raum hinter den Thron zu führen. Hier befanden sich ein Tisch, der aus dem Fels gehauen worden war, sieben mit Leder gepolsterte Stühle aus schwerem Holz und Wandbehänge, die es recht gemütlich wirken ließen. Foret und ich nahmen rechts und links des größeren Stuhles am Kopfende der Tafel Platz. Olthek führte seine Tante zu ihrem Stuhl zwischen uns und setzte sich dann neben mich. Zwei Diener kamen mit Bechern und Getränken heran und schenkten erst ihrer Herrin, dann uns ein. Es roch süßlich nach dunklem Bier und Honig, dass mir sofort das Wasser im Munde zusammenlief. „Trinkt und berichtet! Das Essen braucht noch eine Weile.“, forderte sie uns alle drei forsch auf. Olthek begann: „Garg war unruhig als ich oben auf meinem Wachposten war. Er hatte sich aufgesetzt und schlug um sich, als würde ihn ein Insekt ärgern. Ich ging also nach draußen, um ihn zu beruhigen. Dabei sprach Daril mich an und ich führte daraufhin die beiden in die Stadt.“ Callia nickte. „Das erklärt das Gerumpel von vorhin, danke.“

Gespannt und herausfordernd blickte sie nacheinander auf Foret und mich. Mein Wandergefährte ergriff zögernd das Wort und berichtete von der Aufgabe seiner Familie als Hüter Takal Dûms und wie meine Ankunft dort ihn davon entbunden hatte.

Ich hatte inzwischen Zeit, das Getränk zu probieren und nahm erwartungsvoll einen kleinen Schluck. Süß, malzig, hopfig herb und mit einer feinen Kräuternote entfaltete sich der Geschmack auf meiner Zunge. Das war echt etwas, das meinen Sinnen gefiel! Mir wurde gewahr, dass genau in jenem Moment die Blicke aller auf mir ruhten. Ich schluckte das köstliche Nass herunter und lächelte selig. „Nie trank ich etwas Besseres!“, entfuhr es mir und alle schienen amüsiert. Das Eis war gebrochen, denn Callia blickte nicht mehr so streng wie zuvor. Foret beendete seinen Bericht und nahm dann auch einen Schluck aus seinem Becher. Sein Blick bestätigte mein eigenes Urteil. „Euer Metbier ist wahrlich ein wundervolles Getränk, das sage ich als Metbrauer. Daril hat vollkommen Recht.“, untermauerte er meine Einschätzung. Olthek prostete allen Anwesenden zu und jeder hob den Becher um anzustoßen. „Auf diesen glücklichen Tag!“, rief er aus und wir tranken gemeinsam. „Nun seid Ihr dran, Daril. Ich habe so eine Ahnung, aber ich möchte es gern von Euch hören.“, drängte die Matriarchin mich sanft.

Ich begann mit meiner Vorgeschichte in Takal Dûm. erzählte vom „Ritual des steinernen Volkes“ und kam schließlich zu dem Punkt, wo ich in die Kapsel transferiert wurde.

Callia schien gerührt, denn sie sprach daraufhin mit bedächtigem Ton: „Die Erzählungen von der Flucht aus der Stadt der Vorväter sind mir bekannt. Darüber aber von Euch zu hören, ist eine Erfahrung, die mich ehrfürchtig werden lässt. Ihr seid der Bewahrer der Khazâd, ich habe keine Zweifel mehr.“

In diesem Augenblick erschienen vier Bedienstete mit dem Festmahl. „So lasst uns erst stärken und dann weiter den Geschichten lauschen!“, bestimmte die Herrin des Hartfels.

Das Essen dampfte vor Hitze und die Düfte erfüllten den Raum. Es gab Fleisch, Pilze und gekochte Wurzeln, was in großen Schüsseln auf den Tisch gestellt wurde. Jede Person an der Tafel bekam einen ellenbreiten Teller sowie eine zweizinkige Gabel und ein scharfes Messer an den Platz gelegt. Allen wurde reihum Metbier nachgeschenkt.

„Greift zu, Freunde!“, forderte Callia uns auf und ich nahm mir gern von Allem etwas auf meinen Teller. Das Essen war einfach fantastisch! So gut hatte ich bisher nur in Birnai bei den Uberts gegessen. Die Wurzeln erinnerten mich ein wenig an Steckrüben und passten sehr gut zu dem nussigen Fleisch. Ich winkte einen der Diener heran, der nickte und ich fragte ihn, was das alles sei, was so lecker mundete. „Es handelt sich um gekochte Rübenwurzel, braune Höhlenpilze und Elchfleisch, Herr.“ Er erhielt meinen Dank und stellte sich wieder an die Seite, bis jemand wieder seine Dienste in Anspruch nehmen würde.

Auch Foret schien es gut zu schmecken, denn er schmatzte und leckte sich die Finger.

Nachdem alle gegessen hatten ließ Callia den Tisch abräumen. „Denkt nicht, dass das Übriggebliebene weggeworfen wird. Wir betreiben hier eine Gemeinschaftsküche und jeder Bewohner bekommt das gleiche Essen wie wir gerade. Reste werden an Hühner und Schweine verfüttert, der Abfall wird im Lavaschlund verbrannt.“, klärte sie uns über die lokalen Vorgänge auf. „Ihr haltet Schweine und Hühner?“, fragte ich. „Das ist für Zwerge eher ungewöhnlich.“ Olthek antwortete mir: „Unsere Ahnen hatten für kurze Zeit Kontakt zu Menschen, die uns für unsere Handwerksdienste mit Nutztieren bezahlten. Es zeigte sich als lohnend, die Tiere zu behalten.“

Callia wirkte etwas ungeduldig und mahnte mich, mit meiner Geschichte fortzufahren, was ich nach einem Schluck Metbier auch bereitwillig tat. Sie staunte, dass mein zweites Leben unter Menschen begann und ich gut auf sie zu sprechen war. Meine Begegnungen mit dem Krakonoš und Hyrasha riefen einige Bewunderung hervor und meine Erfahrungen in Takal Dûm wurden langsam nickend zur Kenntnis genommen. Besonderes Interesse zeigten Callia und Olthek für die Elfen, die unsere Reise hierher verkürzten.

Nach einem letzten Becher Metbier fragte ich unsere Gastgeber nach einem Nachtlager, um ausruhen zu können. Die Herrin wies ihren Neffen an, uns zu einer geeigneten Schlafstatt zu bringen. Foret und ich verabschiedeten uns mit einer Verbeugung von Callia. Nachdem wir unsere Sachen aufgenommen hatten, folgten wir dem Jüngling.

Gemeinsam gingen wir durch den kleinen Thronsaal und über die Treppe auf den Vorplatz, wo sich nur noch wenige Leute befanden. Zwei Eingänge weiter, links vom Ratsgebäude, betraten wir unsere Unterkunft. Es befanden sich sechs hölzerne Betten mit dünnen Decken in dem Raum, neben jeder Schlafstatt stand ein kleines Regal. „Es ist eine Gemeinschaftsunterkunft. Ihr könnt euch ein Bett aussuchen. Die Decken werden morgens eingesammelt und tagsüber gewaschen. In den Regalen könnt ihr eure Sachen ablegen.“, erklärte der junge Zwerg. Foret und ich bedankten uns und wünschten ihm ebenfalls eine gute Nacht. Kaum hatte ich meine sieben Sachen in dem Regal verstaut, hörte ich meinen Freund schon gleichmäßig schnarchen. Ich legte mich hin, doch innerlich war ich noch viel zu aufgeregt, um sofort einschlafen zu können.

Was dachte Callia über uns? Wie konnten uns die Zwerge von Mebel’aban bei unserer Mission weiterhelfen? Ich würde die Leute hier erst einmal kennenlernen müssen, bevor wir Entscheidungen treffen sollten.

Langsam dämmerte ich trotz meiner vielen Gedanken in einen unruhigen Schlaf hinein.

 

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