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11. Neue Wege

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Ein Waldpfad

 

Der Stollen sah nicht anders aus, als der, aus dem wir kamen und er zog sich noch eine Weile schnurgerade hin, ehe er in eine natürliche Kaverne mündete, in der der Boden bearbeitet war. Das Muster war kaum erkennbar, aber die Fugen zwischen den verlegten Steinen konnte ich sehen. Foret und ich folgten dem Weg vorsichtig und sahen abseits davon zahllose Tropfsteine, die aus der Decke und dem Untergrund wuchsen. Das beruhigende Tropfen dämpfte ein wenig unsere Aufregung.

Wir gelangten an eine Art Altar, was sich bei näherer Betrachtung als Wegmarke erkennen ließ. Unsere Vorfahren mussten zurückgekommen sein, um Hinweise auf ihren weiteren Weg zu hinterlassen. Die Außenseiten waren mit einfachen Runen versehen, die den Namen einer Stadt und die Richtung wiedergaben. Takal Dûm lag hinter uns im Osten. Gabil‘urdûm würde man im Südwesten finden. Tumunkazor, „die hohle Burg“, konnten wir in nordwestlicher Richtung erreichen. Auch nordöstlich sollte sich eine Siedlung befinden, die Kallâ Atâr, „kalte Tunnel“, hieß. Ich wollte mich gern wieder in Richtung Westen bewegen und damit wieder nach Europa, also wählte ich Tumunkazor als nächstes Ziel. Ohne Hyrasha eine Nachricht zu hinterlassen, wollte ich Takal Dûm aber nicht hinter mir lassen. Ich sprach mit Foret darüber, was ich vorhatte und er war einverstanden, mich zu begleiten. Wir kehrten also zum Durchbruch zurück und verließen mit der Lore den Minenkomplex. Mit dem Aufzug ging es wieder hinunter in Richtung Bibliothek, wo ich eine neue Notiz meiner vorherigen Nachricht hinzufügte:

„Ich habe einen Zwerg gefunden und einen Tunnel aus der Stadt. Wir gehen gemeinsam nach Nordwesten. Viel Erfolg beim Errichten des Archivs. - Daril“

 

Dann legte ich die beschriftete Steintafel zurück, dass Hyrasha sie finden konnte.

„Wir sollten noch Vorräte einpacken bevor wir uns auf den langen Weg machen.“, meinte ich zu Foret. Er nickte und ich folgte ihm durch das „Heim des Wissens“, das er zielstrebig durchquerte. Wir kamen an ein riesiges Gewächshaus, wenn man es so nennen wollte, denn darin befanden sich meterlange Tröge voll Erde, aus denen verschiedene Pilze wuchsen. „Hier können wir uns für die Reise eindecken, mein Freund.“, sagte der Zwerg und deutete mit einladender Geste in den Raum hinein. Auch eine plätschernde Wasserquelle befand sich hier, an der wir unsere Flaschen wieder füllen konnten.

 

„Lass uns noch etwas Met mitnehmen, Daril. Ich muss für mich auch noch einige Sachen packen, dann können wir los.“, sprach Foret mich gut gelaunt an. Ich teilte seinen Vorschlag und wir machten uns wieder auf den Weg zur Metbaude. Wir waren beide aufgeregt und freuten uns auf die Reise, möge sie noch so entbehrungsreich werden.Foret hatte bald sein Gepäck verstaut und geschultert, dann konnten wir uns wieder in die Minen begeben und unsere Reise beginnen.

Dank der Lorenbahn waren wir schnell wieder vor Ort. Dort schauten wir uns den Wegstein ein weiteres Mal an und schlugen dann die angezeigte Richtung nach Tumunkazor ein. Der gepflasterte Weg vereinfachte unser Vorankommen sehr.

Wir unterhielten uns leise während der Pfad uns voranbrachte. Er mündete in einen Stollen, an dem nach einiger Zeit eine Grotte anschloss, die mir schier den Atem nahm.

 

Sonnenlicht fiel von oben in die Höhle, das sich in klarem Wasser brach und spiegelte. In allen Farben des Regenbogens funkelte es in dem natürlichen Gewölbe, was uns kurzfristig die Sicht nahm. Wir gewöhnten uns aber nach und nach an den Lichtwechsel.

Unser Weg endete an einem Steg, der auf einen großen See hinausragte. Vorsichtig betrat ich das Pier, Foret blieb am Rand zurück und schaute ängstlich drein. Kaum gelangte ich an das Ende des künstlich angelegten Weges, begann es im Wasser zu blubbern und zu rattern. Ich blieb stoisch stehen und wartete einfach ab, obwohl mir unwohl zumute war. Steine erhoben sich in einer Reihe aus dem Gewässer, die in ihrer Mitte einen tiefen Einschnitt aufwiesen. Sie fügten sich zu einen Pfad, der über den See reichte und im Dunkel verschwand. Das Rattern endete und ein neues Geräusch ertönte aus der Ferne. Ein Schleifen und Platschen näherte sich uns. Ich hielt angestrengt Ausschau und entdeckte in einiger Entfernung ein rollendes Ding, das auf mich zuraste.

Eine Bahnlore! Sie kam direkt vor mir zum Stehen und hatte nur entfernte Ähnlichkeit mit den Waggons, die ich bis dahin kannte. Sie war einfacher gebaut, es gab nur einen Hebel mit drei Einstellungen. Vor, Stopp und Rückwärts. Eine Sitzbank gab es nicht, man musste sich auf den Boden des Fahrzeugs setzen oder während der Fahrt einfach stehen bleiben.

Mit bedächtigen, kleinen Schritten kam Foret näher und besah sich die Lore. „Wir werden sie benutzen, Daril.“ Das hörte sich nicht überzeugend, aber endgültig an. Wir halfen uns gegenseitig beim Einsteigen und betätigten den Hebel. Die Lore fuhr an und hinter uns verschwanden die Steinblöcke wieder im Wasser, sobald wir sie passiert hatten. Um uns herum wurde es wieder dunkler, hier gab es kein magisches Licht im Gestein, nur das Rauschen des Wassers unter den rumpelnden Rädern und das Schleifgeräusch der Schiene. Offensichtlich hatten sich diese Zwerge anderweitig spezialisiert.

 

Abrupt stoppte das Gefährt, die Geräusche verebbten. Wir stiegen aus und standen auf einer ähnlichen Rampe wie jene, auf der wir gestartet waren. Mittlerweile hatten wir uns an die neuen Sichtverhältnisse anpassen können und sahen den letzten Stein im kühlen Nass versinken. Wir folgten dem Steg an Land und konnten auf einem grob gehauenen Pfad unseren Weg fortsetzen.

„Ein wenig erinnert mich das hier an die Schieferstadt. Es ist dunkel, hat den antiken Charme der Einfachheit und ist funktional ohne Schnörkel.“, sagte ich zu meinem Begleiter. Foret nickte stumm und ernst. „Aber wohl fühle ich mich hier nicht.“, entgegnete er. „Eine Spur zu dunkel, ein klein wenig zu rustikal. Ich bin nicht sicher, was ich davon halten soll.“, ergänzte der Zwerg. Jetzt nickte ich, denn auch in mir kroch ein seltsames Gefühl hoch. Dennoch gingen wir weiter, aber mit Vorsicht.

Der Tunnel bestand nicht aus nacktem Gestein, fiel mir auf, sondern er war mit Mörtel verputzt, der an vielen Stellen abblätterte. Darunter kam Mauerwerk zum Vorschein. Das war neu für mein Volk, aber nicht ungewöhnlich, wenn man sich den Gegebenheiten anpassen musste. Hier und dort, wo Feuchtigkeit die Mauer durchdrang, lösten sich Steine aus dem Gefüge. Dahinter waren nur Sand und Erde. Wir konnten also nicht tief unter der Oberfläche sein, was die neue Bauweise logisch erklärte. Wir folgen dem Gewölbe, das sich durch die Dunkelheit wand, bis wir an eine zerstörte hölzerne Tür kamen, die nur noch lose in den Angeln hing. Dahinter gelangten wir in einen kuppelartigen Raum, in dessen Mitte sich ein Steinquader befand, der dem Wegstein vor Takal Dûm ähnelte.

 

Wir gingen direkt auf ihn zu und berührten die Markierung. Runen glühten unmittelbar grün auf und zeigten in drei Richtungen. Auf der Oberfläche konnten wir unseren Standort ablesen.

Tumunkazor, hohle Burg.

 

 

Die Wegweiser wiesen nach Takal Dûm im Osten, Gabil’urdûm südlich von hier und in westlicher Richtung sollte sich Mebel’aban, „harter Fels“ befinden.

 

 

„Wir sollten uns eingehender umsehen, denn das sollte hier mehr als nur ein Rastplatz sein.“, gab Foret zu verstehen. Ich war seiner Meinung und wir orientierten uns nördlich, da der Wegweiser nicht in diese Richtung zeigte. Wir wurden damit belohnt, dass uns ein massives Holztor den Weg in die Siedlung verwehrte. Der Gewohnheit folgend legten wir unsere Hände auf den verschlossenen Durchgang, um einen magisch auszulösenden Mechanismus zu finden, aber es tat sich absolut nichts. Wir mussten wohl einfacher denken und traten einige Schritte zurück. Ich besaß ein Feuerzeug, aber hatte kein Material, um eine Fackel zu bauen. Dennoch kramte ich es hervor, vielleicht ergab sich ja etwas. Ich ließ den Feuerstein klicken und eine kleine Flamme entzündete sich. „Ein nettes Werkzeug, Daril. Von den Menschen?“, fragte der andere Zwerg. Darauf nickte ich nur und beobachtete meine nun erleuchtete Umgebung näher. Es war ringsum staubig und der Putz hatte sich an vielen Stellen von den gemauerten Wänden gelöst, lag zerbröselt auf dem gepflasterten Boden. Über dem Tor war doch etwas in die Steine geritzt worden! Ich hielt das Feuerzeug näher an den Torbogen, aber die Runen waren trotzdem nur schwer zu entziffern. „Foret, ich kann die Runen nicht lesen, schau du bitte, ob es dir gelingt. Ich leuchte dir.“, bat ich meinen Begleiter.

„Grüße Zwerge. Das Tor ist nicht, was es scheint. Geht den Weg der Ahnen.“, las Foret vor. „Das soll wohl heißen, dass wir nach oben müssen, wie unser Volk aus der Schieferstadt heraus expandierte.“, schloss ich aus dem orakelhaften Spruch. Unseren Weg setzten wir entlang der Wand fort, wo wir auch eine Fackelhalterung fanden. Sie war leider leer und wir gingen weiter. In der nächsten Halterung steckte tatsächlich eine metallene Fackel mit einem in Pech getränkten Stofffetzen daran. Ich zündete die Fackel an und schloss mein Feuerzeug wieder, das mittlerweile recht heiß geworden war. Kaum nahm ich die Fackel in die Hand, schoben sich links von uns die Steine der Wand auseinander und formierten sich neu zu einer Treppe, die sich nach oben wendelte. Der Gang war nicht viel breiter als ein Zwerg, sodass wir hintereinander gehen mussten.

Dies war dann wohl „der Weg der Ahnen“.

Viele Stufen ging es treppauf, bei einhundertzwanzig hörte ich auf zu zählen. Foret folgte mir keuchend mit größer werdendem Abstand. Damit er aufholen konnte, blieb ich stehen und wartete auf ihn. „Ich glaube, mir fehlt ein wenig die Ausdauer, werter Daril.“, bemerkte er, nachdem er mich erreichte. Wir setzten uns auf die Treppe, tranken einen Schluck Wasser und ruhten uns kurz aus, ehe wir den Weg nach oben fortsetzten. Von nun an ging ich etwas langsamer, um Kraft zu sparen und Foret nicht wieder so weit hinter mir zu lassen.

Immer höher wendelte sich die gemauerte Treppe, an der manche Ziegel bereits bröckelten. Insgesamt war ich aber von der allgemein guten Beschaffenheit des Mauerwerks beeindruckt.

 

Ich weiß nicht, wie lange wir in die Höhe gestiegen waren, aber nach scheinbar unendlichen Stunden erreichten wir den Ausstieg aus der Spirale, der in ein gemauertes Gewölbe führte. Der längliche Raum mit den drei Kreuzgewölben erinnerte mich an eine gotische Kirche, wie ich sie aus Büchern kannte, die ich bei den Uberts gelesen hatte. Am entgegengesetzten Ende des Raumes befand sich eine Tür, Fenster gab es keine, nur Fackelhalterungen in gleichmäßigen Abständen an beiden Wänden. Die eine oder andere Fackel fehlte bereits. Staub hatte sich fingerdick über den Boden gelegt, es war sicher seit langer Zeit niemand hier gewesen. Langsam und bedächtig durchquerten wir die Halle, wir wollten ja nicht in einer Staubwolke elend ersticken. Jeder Schritt wirbelte graue Flocken auf, ganz gleich wie vorsichtig wir uns bewegten. Es roch muffig und abgestanden, so als wären die ehemals vorhandenen Einrichtungsgegenstände bereits ewig verrottet. Wir gelangten ohne Zwischenfall zur verschlossenen Holztür und suchten bereits angestrengt nach einem Öffnungsmechanismus, als es hinter uns immer lauter tickte und klackte. Der Fußboden brach nach unten weg, aber offensichtlich kontrolliert und geordnet und nicht wie ein plötzlicher Einsturz. Das war seltsam. Eine Falle? Eine Täuschung?

Einige Schritt weit vor uns kam die Welle zum Stehen. Der nun doch aufgewirbelte Staub brachte uns beide zum Husten, dass wir unsere Münder mit unseren Taschentüchern bedecken mussten. Ich beruhigte mich und verlangsamte meine Atmung, um zu versteinern, damit ich in Ruhe abwarten konnte, bis sich der Staub wieder gelegt hatte. Foret bemühte sich ebenfalls, aber er benötigte länger dazu. Es brauchte eine Weile, bis die Luft wieder atembar geworden war und wir aus der Starre fallen konnten.

Zwerge sind bei Weitem nicht unsterblich, aber unsere körperlichen Fähigkeiten machten uns zäh und widerstandsfähig, was unter Tage sehr von Vorteil war.

Wir dankten dem Schmiedevater von Herzen und staunten nicht schlecht, dass nun eine Treppe direkt vor uns nach unten führte, weg von der Tür. Nur zwanzig Stufen weiter unten knickte ein Gang nach rechts ab, der von grünem Leuchten erhellt wurde. Einer von uns beiden hatte wohl unbemerkt einen geheimen Schalter erwischt, der den Zugang geöffnet hatte. Gut, dass die Fackel noch brannte und wir so dem Weg gut folgen konnten. Im Tunnel gab es kaum Staub, nur einige Spinnweben in den Ecken. Die Decke war ein einfaches Tonnengewölbe, das seinen Zweck gut erfüllte, bis das Mauerwerk aufhörte und dunkler, festgestampfter Erde wich. Vor uns führte der Gang nach draußen. Wir waren wieder unter freiem Himmel! Es nieselte, Wolken verdeckten den nächtlichen Himmel. Wir zogen uns in den Tunnel zurück, wo er wieder befestigt war und rasteten bis der Morgen graute. Ich zog meine Flöte aus der Gürteltasche und versuchte mich an einer simplen Melodie. Foret ermutigte mich, weiter zu machen, ihm gefiel es. Wir tranken einen Becher Met und legten uns dann schlafen. Morgen würden wir erkunden, wo wir angekommen waren.

 

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