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10. Die Sonne zeigt den Weg

Bild von Joe auf Pixabay
Ein Wasserfall in den Alpen

 

Die Uhr am Handgelenk des Zwerges zeigte, dass es früher Nachmittag war, als Katja, die beiden Mädchen und er überlegten, ob sie dem Weg noch folgen sollten, den der magisch aktivierte Troll ihnen wies. Dem Brief Fargals zufolge, sollte sich der letzte Abschnitt des Weges bei Sonnenuntergang durch das Tal im Norden offenbaren. Noch hatten sie ausreichend Verpflegung dabei, um bis zum Abend auszukommen, aber was, wenn die Mädchen müde wurden oder etwas unvorhergesehenes passieren würde?

 

Sie würden sich zu helfen wissen, beschlossen die Frau und der Zwerg. Daril machte sich auf seinem Schreibblock einige Notizen und begann mit wenigen Strichen eine einfache Karte zu zeichnen. „Wenn in dieser Richtung das Tal liegt, dann weiß ich, wo wir hinmüssen. Vor dem Wasserfall gibt es einen Aussichtspunkt, den wir über die Wanderwege erreichen können.“, erzählte er den Menschen und erinnerte sich: „Vor Jahren war ich mit meinem Vater dort.“

 

Die Wanderung sollte nun fortgesetzt werden und die ungewöhnliche Gruppe begab sich wieder auf den Waldweg. Es ging ein Stück zurück, aber sie nahmen bald einen Abzweig, der sie nordwärts leitete. Der Pfand wand sich in vielen Kurven und ging leicht bergauf. Manche Stellen waren von Farnen und Ranken überwachsen, was sie stark verlangsamte. Sie schlugen sich gerade durch das Unterholz, um den Weg wiederzufinden, als es in ihrer Nähe plötzlich schnaubte und grollte. Offenbar hatten sie einen Bären aufgeschreckt, der ihnen zeigen wollte, dass ihm Menschen und Zwerge nicht willkommen sind. Wütend rannte das große Tier auf die Kinder zu, die sich ängstlich mit ihrer Mutter an einen Baum kauerten. Daril machte mit einen Stock Krach, um den Bären von ihnen abzulenken, was ihm tatsächlich gelang. Das Tier machte kehrt und nahm die Spur des kleinen Bartträgers auf. Als der Koloss den Zwerg beinah erreicht hatte, ließ Daril sich einfach fallen und rührte sich nicht mehr. Der Bär war verwirrt, schnupperte an dem Zweibeiner, verlor aber das Interesse an ihm und ging wieder seines Weges.

 

Katja und die Kinder seufzten erleichtert und fragten vorsichtig nach dem Postzwerg. Daril rappelte sich auf, klopfte sich die Kleidung ab und schloss zu den dreien auf. „Das war aber knapp!“, entfuhr es Vanessa, der immer noch der Schrecken im Gesicht anzusehen war. Elisa sagte gar nichts, sah aber kreideweiß aus. Ihre Mutter nahm sie lieb in die Arme und drückte sie an sich. „Alles ist gut, mein Kind. Daril hat uns beschützt.“ Das Mädchen nickte und atmete einmal tief ein und aus, bevor sie ihre Mama losließ. „Danke Mama, danke Daril.“, sagte sie leise.

 

Etwas tippte ihr auf die Schulter. Elisa drehte sich um, weil sie dachte, ihre Schwester wäre es gewesen, aber die Taubenfeder schwebte vor ihren Augen. Sie musste ihr in dem Durcheinander aus dem Haar gefallen sein und wollte nicht vergessen werden. Elisa ergriff die Feder und steckte sie wieder in ihre dunkelblonden Locken.

 

Bald darauf fanden sie den Weg wieder, dessen Zustand sich immer mehr verbesserte. Die Uhr des Zwerges zeigte auf die fünfte Stunde, als sie die alte Aussichtsplattform gegenüber des Wasserfalls sahen. Es würde noch etwas dauern, ehe die Sonne unterging. Solange ruhten sie sich aus und aßen ein weiteres Mal von der mitgebrachten Verpflegung.

 

Der sanfte Wind und das rauschende Wasser wirkten beruhigend auf die Kinder, dass sie beinahe einschliefen, aber als die Sonne sich anschickte, ihren Tageslauf zu beenden, weckten Katja und Daril beide auf. „Schaut mal!“, rief Elisa in die Sonne blinzelnd. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages wurden von dem Wasserfall reflektiert und südwärts gelenkt, geradewegs auf die Plattform zu und darüber hinaus.

Daril kritzelte schnell seine Beobachtungen in seinen Block, um alles festzuhalten.

 

„Wie kommen wir jetzt nach Hause, wo es doch jetzt dunkel wird?“, fragte Vanessa ängstlich. Als wäre das ihr Stichwort gewesen, entschlüpfte die Taubenfeder Elisas Haarpracht und tippte deren Schwester auf die Nase. „Ich dachte, die Feder kann man nur einmal am Tag benutzen.“, bemerkte die kleinere. „Vielleicht war das heute morgen nicht so viel, weil du sie ja nur ausprobiert hattest, Elisa.“, versuchte ihr die größere Schwester zu erklären und schnappte behutsam die Feder aus der Luft. „Dann soll die Feder uns nach Hause bringen.“, war Katjas Idee. Sie besprachen sich kurz und dann ging es los.

 

Vanessa hielt sie am Kiel fest und die anderen drei legten ihre rechte Hand auf die des Mädchens. Alle wünschten sich gleichzeitig: ‚Fliege uns nach Hause!‘ von der Taubenfeder. Langsam erhoben sie sich gemeinsam. Dem Zwerg wurde dabei etwas unwohl, aber er riss sich zusammen. Die Mädchen jauchzten ausgelassen und ihre Mutter grinste, als würde ein Kindheitstraum in Erfüllung gehen. Die Feder zog die Gruppe aufwärts und glitt dann mit ihr über die Bäume hinweg nach Süden, wo das Dorf lag.

 

Als sie vor dem Haus der Familie zu Boden schwebten, schüttelten sich alle, da ihnen der Arm vom Festhalten steif geworden war. Daril verabschiedete sich von den drei Menschen, nachdem sie sich für den folgenden Tag verabredet hatten, um die Suche fortzusetzen.

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