03. Knistern und Donnern

Artwork by Zekron
Leana, von den Lumitarii, Konzeptzeichnung

 

Dunkle Wolken zogen über die weite Ebene, aus denen unaufhörlich Nieselregen wie Wasserfäden rann. Das gleichmäßige Geräusch des Niederschlages wurde immer wieder von Donnergrollen übertönt, hell gleißten Blitze durch die aufgeladene Luft. Sie wurden von großen metallenen Türmen angezogen und die Entladungen schlugen zielgenau in den Konstruktionen der Lumitarii ein. Den Fuß der gleichmäßig verteilten Blitzableiter bildete ein kleines Gebäude aus Beton, das noch einige Ebenen weit in die Tiefe reichte. Alle Blitzfänger verband eine riesige unterirdische Halle, in der es ohrenbetäubend laut war vor elektrischem Knistern. Spulen über Spulen und große Stromspeicher dominierten das subterrane Areal. Hier und dort liefen Menschen in blauen Kitteln mit abgedunkelten Brillen umher oder sie standen an Geräten, die sie bedienten. Auf dieses Wetter hatten die Betreiber der Anlage lange gewartet, um ihre Stromspeicher wieder auffüllen zu können.

 

Nira überwachte gerade die Kontrollen von Blitzfänger achtunddreißig und war zufrieden mit den Anzeigen. Stromstärke und Intensität befanden sich innerhalb der Parameter. Die Anlage war gut gesichert vor Überspannungen, denn Blitze einzufangen konnte sehr gefährlich sein, wenn man nicht achtgab. Die schlanke Frau rückte ihre Brille zurecht und notierte sich weitere Daten auf einem Datenpad. Das lange dunkelblonde Haar hatte Nira geflochten und über die linke Schulter nach vorn über den Oberkörper gelegt. In Gedanken verloren spielte sie mit den Fingern der rechten Hand an dem festen Zopf, dabei sah sie gebannt auf ihr Handgerät.

 

„Bist du hier fertig?“, erklang die Stimme einer kleineren rothaarigen Frau hinter der Technikerin, die erschrak und ihr Datenpad fallen ließ. Das Gehäuse knackte und splitterte durch den Aufprall. „Leana!“, rief die größere Frau aufgebracht. „Dieses Pad wirst du mir ersetzen müssen! Der Bildschirm und der Rahmen sind nicht mehr zu gebrauchen. Wenigstens hatte ich meine Aufzeichnungen bereits gesichert.“ Betreten schaute die kleinere sommersprossige Person ihre Kollegin an. „Es tut mir so leid Nira. Ich werde zum Lager gehen und dein Pad wieder herrichten.“ Nira nickte. „Ja, dann bin ich hier wohl vorerst fertig.“, sagte sie schnippisch und ging. Leana sammelte alle Teile des Datenpads auf, verstaute sie in ihrem Kittel und begab sich zum Lager, das sich zwei Ebenen tiefer befand.

 

Sie stieg in den nächsten Lift und ließ ihn abwärts fahren. Als sich die Tür öffnete, wandte sich die junge Frau mit den schulterlangen roten Haaren nach links und folgte dem künstlich erleuchteten Gang bis an dessen Ende. Dort befand sich eine elektronisch gesicherte Pforte, wo sie ihr Passwort eingab, um das Lager betreten zu dürfen. Die Doppeltür glitt zischend auseinander und gab den Weg frei. An einem Tisch saß ein Mitarbeiter, der ihr ein Pad entgegenhielt. Sie gab ein, welche Komponenten sie benötigen würde und signierte ihre Anfrage mit dem Abdruck des Zeigefingers. Es dauerte nur eine Hektosekunde bis ein Droide die benötigten Ersatzteile zu ihr brachte. Links neben dem Eingang befand sich ein Werktisch, an dem sie die Reparatur vornehmen konnte. Mit geübten Handgriffen öffnete Leana das Gehäuse und entnahm ihm die Elektronik. Der Rahmen und der Bildschirm waren nicht mehr zu retten und wurden entsorgt. Da alle Geräte baugleich waren, stellte ein Austausch nie ein Problem dar, also klickte die Frau die neue Bedienfläche auf die Platine und legte beides in den neuen Rahmen ein, den sie sorgfältig verschloss. Zum Schluss überprüfte sie die Funktionsfähigkeit und aktivierte das Pad, das ohne zu Murren wieder seinen Dienst versah. Nun konnte sie es zurück zu Nira bringen und ihr endlich sagen, weshalb sie ihre Kollegin aufgesucht hatte. Die Elektronikerin verabschiedete sich vom wachhabenden Mitarbeiter und begab sich eilig auf den Rückweg.

 

Sie traf Nira in ihrem Büro an, das am westlichen Außenrand, gegenüber des Fahrstuhles zu finden war. Beide Frauen überwachten je zehn der Blitzfänger, die in fünf Reihen angeordnet waren. Diese Anlage unterhielt demnach fünfzig Türme, die die Stromversorgung der Nation Lumitaria gewährleisten sollten. Es gab über das Land verteilt weitere solcher Blitzspeicher, aber auch Sonne, Wind und Wasser wurden zur Erzeugung der wichtigen elektrischen Energie genutzt. Wind- und Wassermühlen sorgten sowohl für die Nahrungsversorgung, als auch für Strom, den sie mit Dynamos erzeugten. Mit Sonnensteinen fingen sie tagsüber das Licht der zwei Sonnen ein, die die absorbierte Energie im Dunkeln wieder emittierten und so als Lichtquelle dienten.

 

Leana legte das reparierte Gerät vorsichtig auf den Arbeitstisch ihrer Kollegin. „Ich habe Gehäuse und Bedienfeld ausgetauscht. Es funktioniert wieder einwandfrei.“, berichtete sie Nira, die sich knapp bedankte. „Weshalb kamst du vorhin zu mir, Leana?“, wollte die Ältere wissen. Die Rothaarige kam direkt zur Sache: „Es geht um das große Drachenrennen. Ich wollte dich fragen, ob du mir bei den letzten Einstellungen zur Hand gehen würdest. Blitzschweif ist fast bereit, ich bin mit ihm in den letzten Zügen.“ Nira nickte, wie sie es so oft tat und ihr Zopf wippte im Gleichklang mit ihrem Kopfnicken. „Ich helfe dir, wenn du die Verkabelung meines Drachen überprüfst. Eine Hand wäscht die andere.“ Die zierliche Technikerin willigte ohne weitere Bedingung ein. „Eine Hand wäscht die andere.“, wiederholte sie zur Bestätigung den Satz. „Nach der Arbeit in meinem Labor.“, setzte sie mit bestimmender Miene nach.

 

Die meisten der Lumitarii arbeiteten in den zahlreichen Energieanlagen des Landes. Die zweitgrößte Berufsgruppe stellten die Wissenschaftler dar, die alle denkbaren und auch unmöglich scheinenden Dinge erfanden und Sachverhalte ergründeten. Die gesamte Gesellschaft stützte sich nunmehr seit mehreren Jahrzehnten auf die Nutzung von Elektronik in jeder Hinsicht.

Nahrung wurde voll automatisiert angebaut und in den Mühlen verarbeitet. Die Vorgänge überwachten die „Pflanzer“ nur stichprobenartig und sie justierten gegebenenfalls nach. Jedem Bewohner des Landes standen am Tag drei Rationen Nahrung zu, die die Zentrale in mehreren Geschmacksrichtungen anbot und täglich von Droiden an die Wohneinheiten geliefert wurden.

 

Leana knabberte an einem Proteinriegel, während sie auf ihrem privaten Datenpad ein weiteres Mal alle Parameter Blitzschweif betreffend durchging, als Nira vor die Tür des Labors trat. Ein kleiner Bildausschnitt auf ihrem Pad zeigte die Übertragung der Kamera im Eingangsbereich. Die Rothaarige tippte einen Knopf auf dem Display an und für Nira glitt die Tür zum Labor auf. „Schön, dass du da bist.“, begrüßte Leana ihre Kollegin und Freundin. Sie nahm ein weiteres Datenpad von der Arbeitsfläche und reichte es der schlanken Technikerin. „Die Pads sind synchronisiert, wir können simultan arbeiten. Würdest du bitte die Programmierung der Bewegungsmuster gegenprüfen? Wenn der theoretische Teil abgeschlossen ist, lade ich die Konfiguration in Blitzschweifs Speicher und wir können einen Probedurchlauf starten.“ Nira nickte, nahm das Gerät entgegen und begann mit der Fehlersuche. Akribisch durchforstete sie die umfangreichen Syntaxen, die verschiedene Bewegungsabläufe steuern sollten. Alle Extremitäten zu koordinieren stellte tatsächlich eine große Herausforderung dar. Für ihren Drachen, den sie „Schaltkreis“ nannte, stand sie vor den gleichen Prüfungen und kannte sich daher bestens aus. Die Fortbewegung auf den vier Beinen war noch der einfachere Teil. Wenn es aber ans Fliegen ging, erhöhte sich die Komplexität immens.

 

Der Vorsprung Leanas war schnell aufgeholt und Nira war aufgrund ihrer routinierten und strukturierten Arbeitsweise effektiver in diesem Arbeitsschritt. Die Stärken ihrer Freundin lagen in der Konstruktion der Hardware, auch in den Kampfkünsten konnte sie eher glänzen. Das Pad legte Nira auf den Arbeitstisch zurück, als sie ihre Überprüfung beendet hatte. „Ich musste nicht viel korrigieren, du hattest bereits gute Vorarbeit damit geleistet. Ich bin gespannt, wie dein Drache die Programmierung umsetzt. Du willst tatsächlich, dass er mit der Schwanzspitze Blitze erzeugen kann? Womit fokussierst du die?“, fragte sie neugierig. „Der Blitzgenerator befindet sich im inneren des Schweifes, ein speziell geschliffener Diamant und eine Linse justieren Richtung und Stärke des Blitzstoßes.“, antwortete die Elektronikerin und setzte fort: „Nun lade ich das Programm in Blitzschweifs Speicher, damit wir sie testen können.“

 

Daraufhin ging sie in den Nebenraum, der eher eine Halle war, in der das blanke Metallgerippe einer Riesenechse lag. Leana verband ihr Pad mit dem Speichermodul des künstlichen Drachens mit einem Kabel und übertrug die Daten. Innerhalb knapp dreier Kilosekunden war es vollbracht und der elektronische Drache sollte aktiviert werden.

Leana initiierte die Startsequenz von ihrem Gerät aus, dann entfernte sie das Kabel, als nach und nach die Lichter innerhalb des Drachenkörpers aufglommen. Nachdem die Systeme des Konstruktes komplett hochgefahren waren, konnte sie mithilfe ihres Pads den Drachen steuern, die künstliche Intelligenz würde zu einem späteren Zeitpunkt dazukommen, was das Wesen auch zur Interaktion befähigen sollte. Der Zeitplan war straff, aber noch schaffbar. Niras Rennpartner war bereits weiter, was das betraf, nur die Hardware musste noch vervollständigt werden. Es war für beide von Vorteil, dass sie sich gegenseitig halfen, ihre unterschiedlichen Interessen ergänzten sich in diesem Vorhaben perfekt.

 

Blitzschweif ließ sich tadellos steuern. Vorwärts und rückwärts schritt der Stahlkörper durch die kleine Halle, auch die Flügel ließen sich ausbreiten. Ein weiterer Schritt hin zum großen Drachenrennen von Aethyria war getan.

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